C.-R. Weisbach: Wertschätzung heißt nicht, der Mitarbeiter hat immer Recht

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Prof. Dr. Christian-Rainer Weisbach (www.professionelle-gespraechsfuehrung.com) lehrt und forscht an den Universitäten Hohenheim und Tübingen und arbeitet seit dreißig Jahren als Personalentwickler, Coach und Referent. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen und unter anderem Autor des in vielfacher Auflage erschienenen Buches "Professionelle Gesprächsführung". Das Interview führte Jürgen Felger.

Dieses Interview ist auch als mp3-Download oder auch auf Youtube erhältlich:

Herr Professor Dr. Christian-Rainer Weisbach, schön, dass Sie über wertschätzende bzw. professionelle Gesprächsführung sprechen möchten. Sie beschäftigen sich mit wertschätzender Unternehmensführung. Vielleicht sagen Sie zunächst dazu etwas.

Es gibt seitens der Unternehmen das Problem, dass Führungskräfte auf eine Position auf Grund ihres Sachverstandes und ihres Sachkönnens befördert werden, aber nicht auf Grund ihrer Fähigkeit Menschen zu führen. Wie man Menschen führt, und Gesprächsführung ist ein Teil der Menschenführung, müssen Führungskräfte oftmals erst nachträglich lernen, wenn sie schon auf der Position sind. Wir beobachten, dass wir mit Wertschätzung wesentlich eher Ziele erreichen als mit jeder anderen Form zielorientierter Vorgaben. Interessanterweise sind viele Unternehmer so ungenau, dass sie Wertschätzung und Wertschöpfung gleich setzen.

Es stellt sich mir aus verschiedenen Gesprächen folgende Frage. Ich gehe davon aus, dass Sie diese bejahen werden: Ist eine wertschätzende Gesprächsführung in einem normalerweise hierarchisch gegliederten Unternehmen überhaupt möglich?

Zweifelsfrei! Der Hintergedanke ist, dass Wertschätzung nicht heißt, dass ich einem anderen immer Recht gebe. Wir verwechseln sehr oft Wertschätzung damit, dass wir dem anderen Recht geben oder machen, was unser Gegenüber will. Wertschätzung heißt nur, ich nehme den anderen mit seinen Belangen, mit seinen Interessen, mit seinen Zielen und mit seinen Wünschen ernst. Ich bin bereit mich damit auseinanderzusetzen und ich erwarte, dass mein Gegenüber im Gegenzug sich auch mit meinen Interessen, meinen Wünschen und Zielen auseinandersetzt. Wie dann das weitere Gespräch verläuft, ist bei einer echt partnerschaftlichen Gesprächsführung nicht vorherzusagen. Denn wenn ich schon vorher das Ergebnis kenne, das hinterher herauskommen soll, bin ich nicht mehr wertschätzend.

Der Manager würde gerne bestimmte Dinge vorab bestimmen: So hätte ich es gerne, so möchte ich es erreichen. Und jetzt sagen Sie ihm, wenn er wirklich wertschätzend mit seinem Gegenüber umgehen möchte, dann kann er für sich im Vorfeld Ziele setzen, aber ob das hinterher genauso dabei herauskommt, wie er sich das vorstellt, muss er dann schon offen lassen.

Es gibt Situationen, die müssen offen bleiben, weil ich erst im sich entwickelnden Gespräch herausfinden kann, wo überhaupt die Neigungen, die Interessen oder die Ziele meines Mitarbeiters liegen. Kann ich womöglich über eine andere Entscheidung zu einer viel besseren Lösung kommen? Es gibt jedoch in der Unternehmensführung auch Bereiche, die sind nicht verhandelbar. Über Sicherheit kann ich nicht diskutieren. Da gibt es Vorschriften und die müssen eingehalten werden. Dann sollte ich die aber auch nicht in einen Dialog unterbringen wollen. Ein sehr banales Beispiel: Sie sind Mitarbeiter und in meinem Betrieb ist Arbeitsbeginn um 8 Uhr morgens. Dann können wir darüber nicht diskutieren.

Schade.

Sie haben die freie Wahl, sich einen anderen Betrieb zu suchen.

Wertschätzung bedeutet nicht, dass man keine Klarheit hat, sondern Wertschätzung heißt, dass man bei Themen mit Verhandlungsspielräumen entsprechend offen sein sollte.

Ich bleibe einmal bei dem Beispiel des Arbeitsbeginnes. Wenn Sie der Betrieb reizt und Sie lieber in den sauren Apfel beißen, sprich trotzdem morgens um Acht anfangen, steht es Ihnen jederzeit frei, sich für Ihr Interesse eines späteren Arbeitsbeginns, beispielsweise 9 Uhr, stark zu machen und gegebenenfalls in einem längeren Prozess sowohl Ihre Kollegen als auch Ihren Vorgesetzten zu überzeugen, dass 9 Uhr gewinnbringender für das gesamte Unternehmen ist. Dann wird der Betrieb das ändern und eines Tages haben Sie Ihre 9 Uhr erreicht. Und als Vorgesetzter habe mich überzeugen lassen, dass wir tatsächlich mehr Gewinn erwirtschaften, wenn wir um 9 Uhr anfangen und abends dafür eine Stunde länger arbeiten.

In dem Fall wäre es schon verhandelbar.

Der entscheidende Punkt ist aber, dass Sie bis dahin nicht eigenmächtig einfach später kommen können.

Wenn der Mitarbeiter am Beginn der Arbeitszeit etwas ändern möchte, muss er eben die entsprechenden Gremien durchlaufen. Anderenfalls würde der Mitarbeiter versuchen, gegen die Wand zu laufen.

Jede Regel ist verhandelbar. Bis sie geändert ist, gilt sie. Das ist etwas, was Mitarbeiter zwangsweise einsehen müssen. Eine Regel kann ich nicht eigenmächtig außer Kraft setzen.

Ich beobachte in Unternehmen entweder eine Art „Ich will niemandem weh tun.“ oder eine Art „So wird es gemacht, und nur so.“ Erläutern Sie bitte noch einmal das Konzept, welches Sie für den Unternehmensbereich vertreten. Ich glaube, da ist sehr viel Unsicherheit in Unternehmen, einerseits gibt es den ständig nachgebenden Manager mit einer Kuschelmentalität und andererseits den autoritären Manager mit Befehlston.

Betrachten wir gleichzeitig noch die Seite aus Mitarbeitersicht. Der Mitarbeiter möchte ganz gerne bestimmte Freiheiten. Wenn er sich diese einfach herausnimmt, ist dies ein Regelverstoß und damit eine Verletzung des Arbeitsvertrages. Das muss entsprechend geahndet werden, sonst tanzt mir der Mitarbeiter auf der Nase herum. Ein konkretes Beispiel: Ein Unternehmen für das ich lange Zeit gearbeitet habe, hatte eine einheitliche Betriebskleidung für den Messebesuch auf der Cebit und die Mitarbeiterin Hannelore hat keine Lust das Firmenkostüm zu tragen, weil sie findet, dass ihre Figur dabei unvorteilhaft zur Geltung komme. Das steht ihr auch zu, das so zu empfinden. Was sie versäumt hat, war rechtzeitig Bescheid zu sagen. So eine Cebit findet nur alle zwei Jahre statt und man weiß spätestens drei Monate vorher, dass man auf die Cebit entsandt werden wird. Am Tag vor dem Abflug nach Hannover spricht sie ihren Chef an und sagt: „Sie erwarten doch hoffentlich nicht, dass ich im Kostüm erscheine?“ Mit diesem Satz hat sie am Tag vor dem Abflug eigenmächtig versucht, zwischen Tür und Angel das Zugeständnis ihres Chefs zu erreichen. Das war ein eklatanter Verstoß gegen wertschätzende Regeln. Sie hat damit ihren Chef nicht ernst genommen.

Hier sprechen Sie davon, dass auch der Mitarbeiter wertschätzend gegenüber dem Chef sein muss. Die Regeln sind ja bekannt. Wenn Hannelore wirklich etwas verändern will, es macht auch vielleicht Sinn aus diesen und jenen Gründen, dann sollte sie auch entsprechend wertschätzend gegenüber dem Chef sein und vielleicht ein halbes Jahr vorher fragen, ob man das nicht anders regeln könne.

In einem solchen Fall muss man den Mitarbeiter auch ernst nehmen. Womöglich kann man sich für die Zukunft auf ein anderes pfiffigeres Outfit einigen, das vielleicht bei dem bestimmten Produkt passender wäre. Nur man kann das nicht kurzfristig und im Alleingang versuchen. In dem Fall hat der wertschätzende Vorgesetzte zu der Mitarbeiterin gesagt: „Sie scheinen aus irgendwelchen Gründen, die ich nicht kenne, das Firmenkostüm nicht zu akzeptieren.“ „Oh ja.“ „Und ich habe eine einheitliche Kleidung vorgesehen.

Einerseits, andererseits. Als Vorgesetzter kann ich sagen: „Sie möchten das auf jene Weise und jetzt fühlen Sie sich vielleicht enttäuscht: Gleichzeitig möchte ich, dass wir hier morgen diese Kleidung tragen. Sprechen Sie mich noch einmal für die Messe in zwei Jahren an.“

Es kommt noch etwas hinzu. Ich gestehe der Mitarbeiterin durchaus zu, dass sie das Firmenkostüm widerwillig trägt. Das steht ihr zu. Ich kann nicht erwarten, dass sie es auch noch mit Freuden trägt. Also von daher ist es auch eine Form des Respekts, dass dieser Vorgesetzte es geschafft hat zu sagen: „Sie haben Gründe, die gegen das Tragen des Firmenkostüms sprechen. Sie mögen das nicht.“ Das kann ich respektieren. Das heißt ja nicht automatisch „Und deswegen dürfen Sie morgen im Privatkostüm kommen.“ Das wäre die konfliktscheue Kuschelmentalität. Ein „Ich will mich ja nicht mit der Mitarbeiterin anlegen. Die Mitarbeiterin soll sich hier wohl fühlen.“ ist Laisser-faire bis zum Anschlag. Autoritär hingegen wäre, wenn der Vorgesetzte sagt „Und ob ich das erwarte. Sie kennen die allgemeinen Vorschriften und wenn Sie sich nicht daran halten, kommen Sie morgen nicht mit.“ Damit nimmt er sie nicht ernst.

Die Mitarbeiterin nimmt den Chef nicht ernst und der Chef nimmt im Gegenzug die Mitarbeiterin nicht ernst.

Schlagabtausch. Wobei das jetzt nicht zu Ende ist. Der Vorgesetzte hat nicht gesagt, das Firmenkostüm müsse getragen werden, sondern er hat es erweitert: „Sie mögen das nicht tragen – und ich lege wert auf eine einheitliche Kleidung. Es war dieses Firmenkostüm vorgesehen.“ Wenn die Mitarbeiterin jetzt schlau ist, und das darf man in diesem Job erwarten, kann sie durchaus sagen: „Ok, wenn ich also dafür sorge, dass wir morgen alle einheitlich gekleidet sind, können Sie sich damit arrangieren, dass wir alle das gleiche Hemd mit Firmenaufdruck und eine Hose tragen, also keine von uns Frauen einen Rock tragen muss?“ Er hat ihr gegenüber von einem einheitlichen Auftritt gesprochen. Dann, so wie ich diesen Chef erlebt habe, hätte er wahrscheinlich gesagt: „Wenn Sie das sicherstellen können, auch bei den Mitarbeitern, die schon gestern vorausgeflogen sind, kann ich mich darauf einlassen.“ „Ach so, nein, mit denen habe ich ja noch gar nicht gesprochen.“ Das heißt, sie ist zu spät auf die Idee gekommen und die Verantwortung liegt bei ihr. Und jetzt kommt etwas Entscheidendes. Sie kann nicht als Märtyrerin nach Hannover fahren und sagen: „Mein blöder Chef zwingt mich in ein blödes Kostüm.“ Sie kann eigentlich nur sagen: „Ach, wäre ich nur früher auf die Idee gekommen.“ Das hätte der Chef ja erlaubt. Hauptsache einheitlich.

Wenn ich wertschätzend bin, so verstehe ich die wertschätzende Kommunikation, dann kommen mehr Ideen auf. Die Mitarbeiter und die Vorgesetzten können sich dann einbringen und man würde zu besseren Ergebnissen kommen, als wenn ich entweder mich mit Beiträgen zurückhalte oder jemand anderen zurück halte, sich einzubringen.

Ja. Und wir haben eine neue Verantwortung. Der Mitarbeiter muss sich für seine eigenen Interessen stark machen und es nicht einfach bei seinem Chef abladen. Das haben Sie in ganz alltäglichen Situationen, wenn ein Mitarbeiter eine Gehaltserhöhung wünscht. Dann ist die Standardfrage eines wertschätzenden Vorgesetzten: „Können Sie das bitte begründen, wodurch diese Gehaltserhöhung gerechtfertigt ist?“ Also welche Leistung soll der Vorgesetzte mit mehr Lohn quittieren? Und jetzt ist es in der Verantwortung des Mitarbeiters, sich den Kopf zu zerbrechen, was an seiner Leistung so viel wert ist. Wenn der Mitarbeiter sagt: „Wie, jetzt muss auch noch darüber nachdenken, warum ich mehr Geld will? Ach, so viel ist es mir nicht wert.“ Dann muss er damit leben, was er bislang bekommen hat. Ich erlebe sehr viele Mitarbeiter, die sich dieser Verantwortung nicht stellen. Wertschätzung heißt also nicht Friede, Freude, Eierkuchen. Wertschätzung ist ausgesprochen anstrengend, weil man plötzlich Verantwortung für seine eigenen Ziele übernehmen muss.

Wenn ich wertschätzend kommuniziere bedeutet das, dass ich meinem Gegenüber auch die Verantwortung für sein Handeln gebe, dass er zwar selbst entscheiden kann, er aber auch selbst verantwortlich ist.

Nehmen wir ein weiteres Beispiel, um es zu illustrieren. Eine Teilnehmerin in der Seminarrunde berichtete, dass sie das frisch gelernte Wissen am vorangegangenen Abend hätte gleich anwenden können. Sie wäre noch einkaufen gewesen und hätte ihre 17-jährige Tochter um Hilfe gebeten, das Auto leer zu räumen. Sie solle mithelfen, die Sprudelkisten mit hoch in den dritten Stock zu tragen. Ihre Tochter hatte auf die Bitte hin mit einem “Wieso immer ich?“ geantwortet und hatte keinerlei Anstalten gemacht zu helfen. Da hatte sich die Seminarteilnehmerin dem frisch Gelernten entsonnen und hatte zu ihrer Tochter gesagt: „Du hast dich gerade entschieden, mir nicht zu helfen.“ Das war ausgesprochen respektvoll gewesen, die Verantwortung genau dort zu belassen, wo sie hingehört. Die Tochter ist mit ihrer Entscheidung konfrontiert worden. Und jetzt hätte sie mitteilen können: „Ja, ich habe entschieden, ich helfe dir nicht.

Um da einzuhaken, bevor wir erfahren, wie es weiter ging. Ich nehme an, es ging weiter. Behalten Sie es bitte gerade noch für sich. Die Mutter hätte ja auch die Gefahr sehen können, wenn sie so etwas sagt, dass die Tochter es dann erst recht nicht macht. Denn rein intellektuell oder rational gesehen legt die Mutter der Tochter diese unerwünschte Entscheidung auch noch aufs Silbertablett. Ich behaupte, es hat hingegen mit Emotionen zu tun. Die Tochter hatte Wertschätzung für ihre Position erfahren und hatte dann noch einmal die Gelegenheit erhalten, nachzudenken. Und das hätte sie vorher vielleicht nicht gemacht, wenn sie gesagt bekommen hätte: „Du machst das aber!“ oder „Dann lass es doch gleich bleiben, dann muss ich es eben wieder machen.

Der Mutter sagte, ihr wäre sofort die Reaktion eingefallen, die sie sonst auch immer gebracht hätte. Am liebsten hätte sie ihrer Tochter gesagt: „Ich frage doch auch nicht, warum ich eure Wäsche wasche, stopfe, bügle, koche, einkaufe und so weiter.“ Das wäre eigentlich ihre moralisch triefende Antwort gewesen. Dann hätte die Tochter herrlich schmollen können oder hätte doch geholfen, aber mit verzogener Miene und der Familiensegen hätte schief gehangen. Mit dem Mut der Mutter, die Entscheidung der Tochter einfach im Raum stehen zu lassen, war es für die Tochter extrem schwierig geworden. Sie hatte dann die Verantwortung für diese Entscheidung aushalten müssen. Als 17-Jähriger zu Hause zu Ihrer Mutter so etwas zu sagen, hat einen Preis. In dem Moment kündigen Sie eine Beziehung auf. In dem konkreten Fall, so berichtete die Mutter im Seminar, sei sie schon aus der Türe gewesen, als die Tochter hinter ihr her gekommen wäre, im Ton immer noch pampig: „Ok, ok. Ich helfe dir ja.“ Sie war mit ihr die drei Stockwerke hinunter zum Auto gegangen und hatte dort gesagt: „Sag mal Mama, wo hast denn den Scheiß gelernt?“ Bei Herrn Weisbach. Die Tochter hatte die drei Stockwerke über die Situation nachgedacht, wie die Mutter es geschafft hat, die freiwillig Hilfe zu erhalten. Vorher hatte sie das nicht geschafft. So viel Grips hatte die 17-Jährige gehabt, das zu analysieren.

Noch einmal. Dadurch, dass ich akzeptiere und wertschätze – ich möchte es noch einmal betonen, dass man eigentlich rational vermuten möchte, die Mutter hätte bei einem solchen Satz schon aufgegeben – ist die Tochter auf sich zurückgeworfen und muss jetzt noch einmal neu überlegen. Wie fühlt sich die Tochter in dem Moment, wenn sie so etwas gesagt bekommt? „Ok, du hast dich entschieden, den Kasten Wasser nicht hochzutragen.“

Der Ausgangspunkt der wertschätzenden Gesprächsführung heißt nicht, dass wir Händchen haltend alle lieb und nett zueinander sind. Wertschätzende Gesprächsführung heißt, ich nehme einen anderen auch dann ernst, wenn er eigentlich nicht ernst genommen möchte. Das macht wertschätzende Gesprächsführung sehr anstrengend. Also wenn jemand sagt „Immer ich!“ oder „Muss das sein?“ sind das klassische Sätze, mit denen man hofft, es wird jemand anderes gefragt. Oder mit dem Satz „Ausgerechnet heute!“ verpflichte ich mich implizit zu helfen: „Aha, zu einem anderen Zeitpunkt passt es dir eher.“ Das ist dann auf einmal viel anstrengender als ich mir das wünsche, wenn ich so etwas sage. Ich will nicht immer ernst genommen werden. Ich will in dem Fall eigentlich in Ruhe gelassen werden.

Ich höre da heraus, dass es vielleicht auch ungewohnt ist, einerseits so behandelt zu werden, andererseits auch, dass manche Äußerung so überhaupt nicht reflektiert ist und für die Tochter in dem Beispiel ist es anstrengender als sie es sich gewünscht hätte. Leicht wäre es gewesen, auf eine Forderung „Du machst das jetzt aber.“ Zu sagen „Nein, mache ich nicht.“ Dann eskaliert ist es. Oder die Mutter sagt abwertend: „Dann lasse es, du hilft mir ja sowieso nicht.“ Eine weitere Alternative wäre die von Ihnen erwähnte moralisierende Replik.

Auf jeden Fall vertrauter. Streiten oder beleidigt zu helfen, ist immer noch vertraut und man kann sich moralisch überlegen fühlen, wenn man sagt: „Immer muss ich die Drecksarbeit machen.“ Man macht zwar die Drecksarbeit, aber man fühlt sich moralisch überlegen.

Der moralische Sieger. Das ist der Begriff, der mir dabei einfällt.

Damit jetzt nicht der Eindruck entsteht, wertschätzende Gesprächsführung sei nur etwas von oben nach unten. Das geht genauso von unten nach oben. Ein konkretes Beispiel: Ein Mitarbeiter hat in einem Jahresgespräch mit seinem Chef geäußert, dass er einen Karriereschritt machen möchte und sich eine Beförderung wünscht. Nur sein Vorgesetzter hat, so kam es im Coaching heraus, lachend geantwortet: „Meinen Sie das ernst? Och Herr Felger, das ist doch gar nichts für Sie! Den Stress wollen Sie sich doch gar nicht antun!“ Wie fühlt sich das in dem Moment für Sie als Mitarbeiter an?

„Sie wischen meinen Vorschlag einfach so weg. Diese Idee scheint für Sie geradezu lächerlich.“

In dem Moment konfrontieren Sie mich mit mir selbst. Sie haben nicht gesagt: „Hey Chef, so dürfen Sie nicht mir reden!“ Dann wäre die Situation wunderbar aufgebauscht. Sondern Sie haben, das was ich getan habe einfach nur thematisiert: „Sie wischen gerade meine Idee weg.“ Hoch wertschätzend. Und was jetzt für mich als Vorgesetzter unangenehm wird: Ich muss mich damit auseinandersetzen, ob ich die Idee meines Mitarbeiters wegwische. Und es wird mir sehr schwer fallen zu sagen „Ja, Herr Felger, ich nehme jeden in meiner Abteilung ernst, aber nicht Sie!“. (lacht) Das kann ich zwar sagen, aber in dem Moment sind wir geschieden.

Das wäre ein Szenario, bei dem die Beziehung nur noch relativ kurzlebig wäre.

Ich werde also auf Ihren Satz „Sie wischen gerade meinen Wunsch weg.“ inne halten und sagen „Nein, nein, Entschuldigung, Herr Felger, so war das nicht gemeint. Ich nehme Sie schon ernst und werde mich bemühen!“ Diesen Respekt können Sie einfordern.

Herr Weisbach, Sie sagen, dass es in dem Fall für den Chef anstrengend sei. Ich frage mich gerade, wie angenehm ist es denn für den Chef, einen anstrengenden Mitarbeiter zu haben? Oder wie fühlt es sich an?

Es geht darum respektiert zu werden. Alle Menschen, und da bin ich sehr generalisierend, träumen davon, geliebt zu werden. Weniger dramatisch formuliert, träumen davon, respektiert, ernst genommen, geachtet, wertgeschätzt zu werden. Und wenn ein Mitarbeiter seinen Vorgesetzten ernst nimmt, ist das nichts wogegen ein Chef sich wehren kann. Gegen Wertschätzung ist kein Kraut gewachsen. Versuchen Sie sich einmal gegen Wertschätzung zu wehren. Sie können ja schlecht sagen: „Ich will nicht ernst genommen werden. Verdammt noch mal hören Sie auf mich zu respektieren!“ Also das wird lächerlich.

Man weiß, jeder möchte wertgeschätzt werden und das ist offenbar das zu Grunde liegende Prinzip. Wie schwierig oder leicht ist eigentlich die wertschätzende Gesprächsführung in der Praxis? In Stellenanzeigen kann ich viel sehen von einem „Wir sind ein Team“ und höre in Betrieben man sei auf gleicher Augenhöhe und man führe Verhandlungen auf einer Win-Win-Ebene. Manchmal habe ich den Eindruck, wenn ich hinter die Kulissen sehe, es sind Worte, die aber nicht immer mit Leben gefüllt sind. Ich denke, es ist eine Sprache oder Herangehensweise, die selten oder ungewohnt ist. Sagen Sie gerade, wie ich vom Wunsch „Ich möchte wertschätzend auf gleicher Augenhöhe sein.“ zur tatsächlichen Durchführung in der Praxis komme. Vielleicht können Sie einmal sagen, welche Hindernisse mir da in den Weg kommen können.

Ein großes Manko lag früher darin, dass man sich die Gesprächsführung sozial integrativ, demokratisch, so heißt es bei Schulz von Thun, vorgestellt hatte: eine Mischung aus Respekt, Wertschätzung, Achtung des anderen und Verzicht auf jegliche Form von Lenkung. Das ist nach der alten Tausch-Schule [Anm. d. Red.: Reinhard Tausch, Anne-Marie Tausch] die ideale Form der Beeinflussung. Ich verzichte auf die Beeinflussung. Das ist der große Fehler! Wenn ich das Gefühl habe, ich darf nicht für meine eigenen Ziele kämpfen, dann verleugne ich mich. Wertschätzende Gesprächsführung hat eine völlig andere Komponente: Ich bin mir meiner Ziele, meiner Interessen, meiner Anliegen bewusst und ich setze mich dafür ein. Und gleichzeitig billige ich meinem Gegenüber zu, dass er auch Interessen, Anliegen und Ziele hat und wir müssen jetzt ausknobeln, ob meine Anliegen mein Gegenüber glücklich machen oder überzeugen und er sich mir anschließen kann oder umgekehrt, ob ich feststelle, die Ziele des anderen sind viel besser als meine eigenen Ziele. Dann gebe ich meine Ziele sofort auf und schließe mich dem anderen an. Oder ob wir merken beide vielleicht, dass es etwas Drittes gibt, was uns viel eher zu unseren eigentlichen Zielen führt. Oder es gibt sonst einen Weg, mit dem wir beide leben können. Das ist wertschätzende Gesprächsführung. Und das ist insoweit vergleichsweise einfach zu lernen, weil ich keinerlei Abstriche an meinen eigenen Wünschen vornehmen muss. Ich muss mich nicht meiner Wünsche und meiner Ziele genieren.

Also da ist dieses Einerseits und Andererseits. „Sie möchten dieses. Das ist Ihre Position. Und ich möchte und wünsche jenes.“ Und dann…

Da haben Sie eben das entscheidende Wort benutzt und Sie haben es gar nicht betont.

Ja, das „und“. Ich habe ja schließlich Ihr Buch gelesen! [Anm. d. Red.: „Professionelle Gesprächsführung“, Christian-Rainer Weisbach]

Grammatikalisch betrachtet ist das Und nicht nur ein Verbindungswort, sondern sagt, dass zwei Sätze gleichwertig sind. Die Alternative ist ein Aber. Mit dem Wort Aber mache ich einen Unterschied: „Es ist schön, dass du das willst, aber jetzt komme ich.“ Und der Aber-Satz setzt sich immer durch.

Sie möchten das, aber ich möchte jenes.

Und damit werte ich den anderen, allein durch die Verwendung des unscheinbaren Wörtchens Aber bereits ab und das spürt der andere. Er spürt die Abwertung

Das ist genau, was ich eben ansprechen wollte: Jemand sagt, er möchte auf gleicher Augenhöhe kommunizieren, merkt aber gar nicht, wie er den anderen und seine Position abwertet.

Also wir erleben in unseren Schulungen, das Menschen, die intellektuell verstanden haben, dass ein Aber sich grundsätzlich durch ein Und ersetzen lässt, anschließend wie besessen trainieren, ob im Supermarkt an der Kasse oder zu Hause mit der Familie oder am Arbeitsplatz. Sie sind immerzu am Trainieren. Ich überprüfe, ob ich mein Aber nicht grundsätzlich ersetzen kann. Und treffe dann auf Menschen, die sagen, es gehe. Es sei toll!

Es ist eben auch eine Haltung. Dieses Aber kommt eben von irgendwoher. In einem solchen Fall kann ich bei mir selbst feststellen, dass ich hier egoistisch bin und versuchen, es anders zu formulieren: Ok, ich habe meine eigenen Interessen und möchte gleichzeitig die Interessen des anderen nicht unter den Tisch fallen lassen. Wenn ich es allerdings auf bestimmte Weise formuliere, und ich will auf die präzise Formulierung hinaus, dann ist es auch eine Sprache. Sie sagen, die Teilnehmer trainieren das. Ich muss es also wirklich lernen. Man muss es internalisieren. Es reicht nicht, ein Seminar zu besuchen und es nur zu hören oder nur zu lesen, sondern ich muss es auch dann in dem Moment tatsächlich auf natürliche Weise anwenden können. Kennen Sie das von Teilnehmern, die es versuchen und dann sagen, das klinge aber komisch?

Das kommt vor. Entscheidend ist, und das sagen alle Teilnehmer in meinen Trainings, wenn man erst einmal ein oder zwei positive Erfahrungen gemacht hat, ist man so beglückt und so überrascht „Hey, das funktioniert ja tatsächlich.“, dass man energetisiert in die nächste Erfahrung geht. Und je mehr Erfahrungen man macht, umso sicherer wird man natürlich.

Wir zielen auf die Kommunikation in Unternehmen ab. Wie gefährlich ist es nach außen, wenn ich offene Kommunikation praktiziere, z. B. hinsichtlich von möglichen Wettbewerbern?

Das ist die klassische Situation, die wir alle als Kunde kennen. Will mir da der Verkäufer etwas andrehen, spüre ich das als Kunde. Spätestens nach dem Kauf setzt dann Kaufreue ein, wenn ich mich über den Tisch gezogen fühle oder weil ich etwas gekauft habe, was teurer war als ich eigentlich ausgeben wollte. Ich bin dann unzufrieden und hadere mit der Situation. Und jetzt kommt der sehr teure Preis für den Verkäufer: Im dem Moment hat er sein Geschäft gemacht. Aber ich meide fortan seinen Laden. Ich erinnere mich an eine Krawatte, die ich einmal vor vielen Jahren auf diese Weise erworben habe. Die hängt glaube ich seit zwölf Jahren unbenutzt in meinem Kleiderschrank. Sie war teuer. Sie ist aus Seide. Ich sollte sie vielleicht einmal zu Weiberfastnacht anziehen, jedenfalls nicht an normalen Tagen.

Ich schätze der Verkäufer hatte gesagt „Die steht Ihnen aber gut!“

Ja, genau so einen Allerweltssatz: „Diese Krawatte passt sehr gut dazu und steht Ihnen ganz ausgezeichnet!“ Ich Blödmann habe sie gekauft.

Sagt der Verkäufer, den Sie schulen nicht: „Ja, Herr Weisbach, ist ja schön und gut. Wenn ich aber meinem Kunden sage 'Sie zögern offensichtlich noch.' oder 'Mh, Sie machen so einen kritischen Gesichtsausdruck' …“

Genau das lernen meine Verkäufer.

„… Herr Weisbach, dann rennt der Kunde mir doch erst recht davon. Ich möchte die Blase nicht auch noch zum Platzen bringen. Deshalb, Herr Weisbach, weigere ich mich das zu sagen.“

Das Gegenteil ist der Fall. Der Kunde wird, wenn man ihn so anspricht, wie Sie es gerade formuliert haben „Irgendetwas lässt Sie noch zögern.“ sagen, was ihn zögern lässt. Und als der Verkäufer kann ich prüfen, ob ich diese Zweifel, diese Skepsis ausräumen kann oder nicht. Ich bringe Ihnen ein Beispiel aus meiner Verkäuferschulung. Ich darf auch die Marke nennen: für Opel. Der Verkäufer hat das frisch Gelernte mutig angewendet. Er hat in seinem Ort dem Bürgermeister und seiner Frau den damals nagelneuen Opel Omega verkauft. Die Unterschrift war gerade geleistet. Er war glücklich. Wenn man sich die Provision bei dem teuersten Auto von Opel einmal bewusst macht, dann hat der Verkäufer an diesem Tag ein ganzes Monatsgehalt verdient. Super! Und beim Verabschieden wird er gewahr, wie die Frau Bürgermeisterin, sich mit verzogener Miene verabschiedet. Er hat den Mut und sagt: „Ich habe den Eindruck, Sie sind mit der Entscheidung Ihres Mannes nicht glücklich.“ „Nein, ganz und gar nicht.“ „Sie hätten sich etwas anderes gewünscht“ „Ich habe schon immer gesagt, wir sollten ein Mercedes kaufen“ Da hatte dieser Verkäufer den Mut zu erwidern „Dann werden Sie mit diesem Auto niemals glücklich.“ Er schaute den Bürgermeister an und sagte „Ich habe nicht den Eindruck, dass wir hier gerade ein gutes Geschäft gemacht haben.“ „Ja, aber ich doch unterschrieben. Jetzt können wir nicht mehr zurück.“ Der Verkäufer aber hat vor den Augen seiner Kunden den unterschriebenen Vertrag zerrissen.

Das wollen wir uns erst einmal, bevor es weitergeht, vergegenwärtigen! Das ist der kritische Punkt, an dem wohl jeder Verkäufer üblicherweise sagt „Um Gottes Willen, Herr Weisbach, Sie wollen doch jetzt nicht wirklich dieses Geschäft kaputt machen?“

In dieser Verkäuferschulung, es war ein drei Mal dreitätiges Seminar, haben die übrigen zehn oder elf Kollegen entsetzt reagiert als er das im Aufbaukurs mitteilte. Sie hielten ihn für bekloppt und dass er das doch nicht machen könne. Er jedoch sagte, dass er dabei ein gutes Gefühl hatte, dass man sich in die Augen geschaut habe und die Frau des Bürgermeisters ihn angestrahlt habe. Das tolle ist, eine Woche später haben sie ihrer Tochter einen nagelneuen Opel Corsa geschenkt. Den haben sie bei ihm gekauft. Er sei so in der Achtung dieser Familie gestiegen, dass er immerzu empfohlen werde. Der Bürgermeister fahre jetzt Mercedes. Wertschöpfend für den Verkäufer. Wertschöpfend und wertschätzend. Und er sagte etwas, bei dem sich die anderen Kollegen dann wohl sehr betroffen und angegriffen fühlten: „Vielleicht findet ihr das doof. Ich finde es wichtig, dass wenn ich morgens in den Spiegel schaue, ich mich nicht schämen muss.

Was die Kritik dieser Verkäuferkollegen ausmacht ist offenbar: „Ja, dein Gefühl ist gut, aber dein Geschäft hast du zerstört.“ An der Stelle, an der wir einen Punkt gemacht hatten, da hätte auch ich rein rational gesagt, dass man dies nicht machen kann. Daher kam dieser Aufschrei. Aber diese Gefühle, die beim Verkauf eine Rolle spielen, sind wichtig, erstens für mich, aber vor allem für den Kunden. Hinterher kann ich es natürlich rationalisieren und mir klar machen, dass der Bürgermeister die meisten Leute im Dorf kennt und hinterher in seinem Ort wohl begeistert für mich Werbung machen wird: „Wie toll dieser Verkäufer diesen Vertrag zerrissen hat!“ Soweit hätte ich als Verkäufer wohl in dem Moment aber gar nicht gar gedacht, selbst wenn ich von Ihnen geschult worden wäre. Die ganze Werbung versucht, ein gutes Gefühl zu verkaufen. Da werden bekannte Testimonials für viel Geld eingekauft, schöne Musik unterlegt, wenn der Wagen durch die Landschaft fährt, usw. Aber wenn man das konkrete Verkaufsgespräch führt, dann soll es heißen: „Vertrag geschlossen, Pech gehabt, lieber Bürgermeister, jetzt hast du schon unterschrieben.

Der Punkt ist, sie sagen gerade, dass Gefühle verkauft würden. Als Verkäufer muss ich lernen, mit den negativen Gefühlen meines Gegenübers umzugehen. Bei den positiven ist es leicht. Ich gebe Ihnen ein weiteres Beispiel von einer Baumaschinenmesse in München. Ich hatte deren Verkaufsmannschaft geschult und wir waren auf dem Messestand. Ich bekomme mit, wie ein Kunde in einer Entfernung von anderthalb Meter gut fünf Minuten da steht und sich den Messestand anschaut, ihn aber nicht betritt. Einer der Verkäufer nahm das war. Aber der Kunde will irgendwie keinen Kontakt aufnehmen. Und dann sah man wie der Kunde mit den Worten wegstapfte: „Der gleiche Mist, wie vor zehn Jahren.“ In diesem Moment hechtete der Verkäufer, der das gesehen hatte hinterher „Sie machen gerade einen fürchterlich unzufriedenen Eindruck.“ „Bei Ihnen hat sich nichts gebessert“ „Das heißt, Sie haben schon einmal ganz schlechte Erfahrungen mit uns gemacht“ „Oh ja, vor zehn Jahren.“ „Da hat man Sie irgendwie im Regen stehen lassen.“ Hat er einfach einmal so ins Blaue gesagt. „Schlimmer noch.“ „Sie machen mich neugierig“ Daraufhin hat der Kunde erzählt, was ihm vor zehn Jahren passiert ist. Der arme junge Verkäufer war vor zehn Jahren noch nicht im Unternehmen, aber er kann sich die Geschichte trotzdem anhören. Und er kann die negativen Gefühle des Kunden ernst nehmen: „Und Sie haben so schlechte Erfahrungen gemacht, dass Sie beschlossen haben, nie wieder mit uns zusammen zu arbeiten.“ „Ja!“ Der Verkäufer und der Kunde kamen dem Stand mehr und mehr wieder näher. Es entstand eine Pause und plötzlich fragte dieser Kunde: „Wie funktioniert diese Maschine da eigentlich?“ und zeigte auf eine große Beton-Mischmaschine. Es entstand ein Fachgespräch. Er wurde mit seiner Ablehnung, die er aus welchen Gründen auch immer empfunden hat, zu Recht oder zu Unrecht, das müssen wir gar nicht prüfen, aufgefangen worden. Er hatte irgendeine schlechte Erfahrung gemacht. Keiner hatte sie ihm ausgeredet. Es hatte niemand gesagt: „Ja, das war früher, aber mittlerweise sind wir ganz toll!“ oder „Diesen Kollegen haben wir damals gleich rausgeschmissen“. Nein, es wurde ihm erlaubt, die schlechte Erfahrung von damals noch zu fühlen. Das ist wertschätzende Gesprächsführung.

Ich will es provokant fragen: Bin ich der Therapeut meines Gegenübers? Wenn man negativ auf Sie als Person reagiert, was passiert dann? Ich will andeuten, dass es nicht immer einfach ist, wertschätzend zu sein, wenn mir jemand keine Wertschätzung entgegen bringt. Vielleicht haben Sie auch dazu ein Beispiel aus Ihrer Praxis.[/size]

Auch das ist erlaubt. Der andere muss das recht haben, mein Verhalten unsinnig zu finden. Das ist auch eine ganz wichtige Grundvoraussetzung für wertschätzende Gesprächsführung. Vielleicht sprechen mich irgendwann einmal meine Kinder wegen dieses Interviews und des Videos hier an. Meine Kinder müssen nicht jede meiner Entscheidungen begeistert akzeptieren. Es gibt etliche Entscheidungen, bei denen meine Kinder enttäuscht sind und sich ärgern, dass ich so kleinkariert entscheide. Es ist erlaubt, dass sie in dem Moment sagen: „Du bist ein blöder Vater.

Dieses Beispiel ist in der Familie. Nehmen wir es doch weiter!

Ein aktuelles Beispiel von gestern Abend: In dem Hotel, in dem ich übernachtet habe, bekam ich beim Abendessen zufällig mit, dass die fünf Personen am Nachbartisch zahlten. Ich hatte zuvor wahrgenommen, dass die Stimmung zwischen der Bedienung und diesen Gästen zum Schneiden war. Die Bedienung, eine junge Frau Ende 20, sagte zu den Herrschaften „Ich habe den Eindruck, Sie sind irgendwie sauer auf mich.“

Da haben Sie sich sozusagen gefreut, als Sie diesen Satz hörten.

Ich wurde neugierig und sah hin. Dann drehte sich einer dieser Gäste um, ein behäbiger älterer Herr Ende 50 und sagte in einem ziemlich giftigen Ton: „Das kann man wohl sagen!“. Aber er erklärte nicht, worüber er sich geärgert hatte, was ich unfair fand. Sie war ganz professionell ruhig und erwiderte: „Oh je, und Sie wollen mir nicht sagen, was ich falsch gemacht habe.“ Sie hat auch erlaubt, dass er eine Andeutung macht, aber nicht weiter redet. In dem Moment erklärte er sich: „Wenn es Sie interessiert, kann ich es Ihnen genau sagen. Ich zähle einmal auf: …“ Sie hatten sich daran gestört, dass beim Brot vorab die Butter nicht streichbar gewesen wäre und der eine ein dunkles Weizenbier bestellt gehabt hätte und ein helles gekommen war. Und man hätte zwei Mal darum bitten müssen, dass man endlich zahle, bis sie endlich gekommen sei.

Also mehrere Kleinigkeiten. Ich sage jetzt Kleinigkeiten. Das ist jetzt eine Wertung. Aus Sicht des Kunden hat sich die Bedienung unmöglich verhalten.

Und diese Bedienung, professionell geschult, bringt es fertig, völlig ruhig auf jegliche Verteidigung und Erklärung zu verzichten. Sie hätte jeden einzelnen Punkt erklären können. Zum Beispiel: „Für die Butter bin ich nicht zuständig. Es gab heute so einen Andrang, dass ich nicht so schnell abkassieren konnte.“ In dem Moment sagte sie jedoch „Oh je, dann habe ich Ihnen den ganzen Abend verdorben.“ Aber dann schenkten die anderen Gäste ihrem Kollegen plötzlich einen ein: „Lass doch´mal die junge Frau in Frieden! Die hat sich nun wirklich bemüht!“ Ich hatte dann den Eindruck, als anschließend weiter abkassiert wurde, dass sie ein ordentliches Trinkgeld bekam. Denn sie bedankte sich mehrfach deutlich. Ich habe den Eindruck, einer war unzufrieden und übertrieb es fürchterlich. Anschließend, weil sie sehr respektvoll geblieben war, erkannten die anderen, dass eine Grenze überschritten wurde. Der Satz „Oh je, dann habe ich Ihnen den ganzen Abend verdorben.“ war extrem respektvoll. Wenn der Mann das so empfunden hat, dann stimmt das. Dann kann er nur bejahen.

Ich höre heraus, dass die Bedienung sich so verhalten hat, wie Sie das den Teilnehmern in Ihren Seminaren nahe legen. Ich gehe davon aus, dass Sie total begeistert waren.

Was mich am meisten gefreut hat: Sie hat nicht nur die Situation professionell gehandhabt, sondern sie dürfte aus der Situation erhobenen Hauptes herausgegangen sein, ohne einem Gefühl der Beschämung wie „Ich habe viel falsch gemacht“ oder der Demütigung wie „Die behandeln mich ja vielleicht wieder wie den letzten Dreck.

Vielleicht ist es so, dass selbst da die genannten Gefühle bei ihr aufkommen. Dann wären wir beim Thema, seinen eigenen Standpunkt zu vertreten. Das waren vielleicht Geschäftsleute aus einer anderen Stadt. Da halte ich mich als Bedienung eben zurück mit meiner Meinung. Wenn es eine Situation wäre, bei der man sich immer wieder trifft, wäre es vielleicht etwas anderes… Nein. Sie schütteln den Kopf. Wäre es nicht etwas anderes, wenn ich mich persönlich betroffen fühle? Wenn ich es entsprechend stark empfinde, wäre es da nicht angebracht zu sagen: „Meine Position ist jene.“

Es gibt da einen sehr provokativen Satz: „Wer argumentiert verliert!“ Ich kann kein Gespräch gewinnen, wenn der Gesprächspartner gar kein Interesse hat. Da können Ihre Argumente noch so gut sein. Wenn der andere nicht hören will, was können Sie sich dafür kaufen? In unserem banalen Beispiel hatte die Bedienung bestimmt ausgezeichnete Erklärungen, warum und was schief gelaufen ist. Wenn sie die Gründe nennt, wird sich der Gast trotzdem nicht entschuldigen mit „Ach so war das! Nein, dann bekommen Sie ein ordentliches Trinkgeld. Dann bin ich sehr zufrieden mit dem Abend.“ Nein, den Gast interessiert es gar nicht. Er will keine Erklärung haben.

Das leuchtet mir wunderbar ein. Es bedarf also einer gewissen Einschätzung meinerseits als Verkäufer oder jemand, der mit Kunden zu hat, ob es überhaupt etwas nützt, wenn ich nach einer wertschätzenden Beantwortung dem Kunden den Sachverhalt erläutere. Ich halte mich also zurück, weil ich weiß, wie Sie sagen: „Wer argumentiert verliert.“ Jede Erklärung geht ins Leere. Vielleicht können Sie einen Eindruck vermitteln, wie schwer es ist, sich in einem solchen Moment zurückzuhalten. Ich kann mir vorstellen, diese Haltung einzunehmen ist in manchen Fällen verdammt schwierig.

Richtig, es geht um eine Haltung, und die kann ich leben. Und je häufiger ich die Erfahrung mache, dass diese wertschätzende Art auch dazu führt, dass man wieder lernt, Herr der Situation zu bleiben, komme ich in ein sehr viel selbstbewussteres Fahrwasser. Ich erwähne ein abstoßend dramatisches Beispiel. Eine meiner Studentinnen berichtete im Seminar, dass sie zwei Tage vorher im Park überfallen wurde, dass sie von hinten zu Boden geworfen wurde und ein Mann sie vergewaltigen wollte. Sie hatte in dem Moment siedend heiß überlegt, wie sie sich wehren könnte. Es war eine kleingewachsene junge Frau. Auch wenn es ein wenig deftig ist – als sie zu Atem kam, brachte sie es fertig, dem Vergewaltiger, der sich gerade auf sie stürzt hatte zu sagen: „Ok, du willst jetzt ficken. Das können wir auch in der Wärme tun.“ In dem Moment hatte er gesagt „Wo?“ „Bei mir zu Hause.“ „Also gut.“ Und alle im Seminar sagten: „Wie und den hast du auch noch mit nach Hause genommen?“ Sie hat ihre Reaktion damit begründet, dass sie soweit gar nicht gedacht habe und ihr es aber klar war, dass sie dann durch den Bahnhof gehen würden oder sie zumindest Zeit gewinnen würde und sich damit vielleicht eine Gelegenheit ergeben würde zu verschwinden. Irgendetwas wäre ihr auf dem Weg schon eingefallen. So war es dann auch und konnte davon laufen. Sie hatte die erwähnte Haltung gehabt. Sie hatte sich nur deshalb helfen können, weil sie sich selbst und den anderen ernst genommen hatte. Es ist dramatisches Beispiel.

Ich finde es ein hervorragendes Beispiel, weil es klar macht, die Welt ist eben nicht immer nett. Es ist ja kein Trick in dem Sinne, sondern ihre Äußerung beschreibt die Situation. Und wenn die Situation noch so unangenehm ist. Aber da muss man erst einmal darauf kommen, so klar zu sein. Ich sehe die Schwierigkeit in einem solchen Moment Wertschätzung entgegen zu bringen – gegenüber einem Verbrecher. Auch gegenüber einem Kriminellen. Wenn ich Therapeut bin und einen Kriminellen vor mir habe, ist diese persönliche Betroffenheit natürlich nicht vorhanden. Da kann ich so eine Haltung vielleicht eher annehmen, als wenn ich selbst gerade Opfer bin. In diesem Beispiel kommt für mich die persönliche Betroffenheit sehr klar zum Ausdruck. Kommen wir vielleicht zum Schluss noch einmal zur wertschätzenden Gesprächsführung im Unternehmensbereich. Da steht beispielsweise ein großes Geschäft in einem Aktienunternehmen an. Da sind Aktionäre. Da ist ein Aufsichtsrat. Und Sie als Vorstandsvorsitzender sagen: „Nein, es ist zwar alles schon unterschrieben, aber wenn der Kunde jetzt doch nicht will, dann lasse ich ihn eben ziehen.“ Ich stelle mir das sehr schwierig vor, so eine Entscheidung gegenüber den Menschen zu verargumentieren, denen ich Rechenschaft ablegen muss. Wenn es mir klar ist, ist es die eine Sache, aber die andere ist es, dies anderen zu erklären.

Es kommt darauf an. Sie sagen verargumentieren. Will denn die andere Seite überhaupt im Moment Argumente hören?

Also weiterhin wertschätzend agieren. Wer argumentiert verliert.

Ein Unternehmen musste nach 25 Jahren Betriebszugehörigkeit einen Mitarbeiter entlassen. Ich wurde als Mediator hinzugerufen. Sie können sich vorstellen, wie teuer das für den Betrieb wird, einen Abteilungsleiter mit Mitte 50 zu entlassen. Aber er musste entlassen werden. Es gab aus seiner Abteilung seinetwegen schon zu viele Kündigungen. Der Vorgesetzte hat irgendwann erkannt, dass es zu teuer wird. Ich habe das Gespräch vorher mit dem Vorgesetzten geübt. Als man dem Mitarbeiter die Entlassung dann mitteilte, sagte er: „Ja, warum ich?“ „Sie möchten gerne eine Erklärung bekommen.“ Er hat das Warum umformuliert. Jetzt kam das Wundersame. Der zu kündigende Mitarbeiter dachte kurz nach. „Nein, ändern tut es ja doch nichts.“ „Sehr richtig. Ändern tut es nichts. Ich kann es erklären, aber die Erklärung ändert nicht die Kündigung.“ „Dann will ich es auch nicht wissen.“ Das war für mich ein sehr extremes Beispiel. Menschen wollen oftmals keine Erklärung. Ihr Verargumentieren hilft nur, wenn der andere auch wirklich nach einer Erklärung fragt. Das ist aber ganz selten.

Das ist doch ein wunderbarer Schluss.

Vielen Dank Herr Felger!

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Weisbach!